Erzähllust

Nachlese

Gepostet am 1 Dez 2018

Nachlese

Mobile Erzählbühne Münster gastiert in der Studiobühne

„Ich spiel’ gerade um Leben und Tod“

Eine alte Frau sitzt am Küchentisch und zockt den Sensenmann beim Kartenspiel ab. Am Fenster läuft ihr Nachbar vorbei und ruft (mit kräftigem Schweizer Akzent): „Hey, Frieda, was machst?“ „Hey Ursli“, winkt sie vergnügt: „Ich spiel’ gerade um Leben und Tod.“

Westfälische Nachrichten, 27.11.2018
Text und Foto von Wolfgang A. Müller

 

Die Initiatorin der Mobilen Erzählbühne Sybilla Pütz (vorn) mit ihren Gästen Florian Fischer, Antje Horn und Lukas Müller (v.l.) in der Studiobühne
Die Initiatorin der Mobilen Erzählbühne Sybilla Pütz (vorn) mit ihren Gästen Florian Fischer, Antje Horn und Lukas Müller (v.l.) in der Studiobühne Foto: Wolfgang A. Müller

 

Eine alte Frau sitzt am Küchentisch und zockt den Sensenmann beim Kartenspiel ab. Am Fenster läuft ihr Nachbar vorbei und ruft (mit kräftigem Schweizer Akzent): „Hey, Frieda, was machst?“ „Hey Ursli“, winkt sie vergnügt: „Ich spiel’ gerade um Leben und Tod.“ Es sind Momente wie diese in einem von Lukas Müller dargebotenen Märchen, in denen die Kunst des Erzählens sich frei entfaltet.

Zum letzten Termin ihrer Mobilen Erzählbühne in diesem Jahr begrüßte deren Initiatorin Sybilla Pütz drei Gäste in der Studiobühne, die die Ausbildung „Storytelling in Art and Education“ an der Universität der Künste Berlin absolviert haben. Dabei entstand das gemeinsame Programm über die unberechenbaren Mächte der Liebe und des Todes „Unfassbar & Unwiderstehlich“. Verschiedene Stile und Persönlichkeiten verbinden sich zu fesselndem Theater im Kleinformat. Da Erzähler gegenüber Schauspielern den Luxus genießen, in ihren Inszenierungen niemand anderen verkörpern zu müssen, und direkt mit dem Publikum kommunizieren, stellte sich sogleich eine behagliche, entspannte Atmosphäre ein.

Gleichwohl verhalfen die Erzähler den Protagonisten ihrer Storys durch Stimme, Gestik und Mimik zu lebhaften Konturen. Da sang und tanzte Florian Fischer wie die Verliebten in einer von ihm vorgetragenen Legende, wippte Antje Horn, Kälte in der Stimme, auf dem Pedal des unsichtbaren Spinnrads einer ihren Stiefsohn mordenden Frau. Als gespenstischer Vogel wiedergeboren, erhebt er ein trauriges Lied über das Erlittene – und wird es heimzahlen. Mit feinfühligem Sinn für Humor und Dramatik entwarfen die Erzähler – bisweilen im Trio – magische Welten, inklusive in Märchen nicht unüblicher Splatter-Elemente.

Überlieferungen verknüpften sie aber auch mit sehr persönlichen Geschichten: Horn schildert, einen imaginären Säugling in der Armbeuge wiegend, wie sie als 19-jährige Mutter ihrem gerade entbundenen Sohn spontan Versprechungen immerwährender Liebe und Schutz zuflüsterte. 28 Jahre und weitere Kinder später hat sie die Realität des Kommen und Gehens eingeholt. Müller und Fischer erinnern sich an ihre Großeltern. Als ihm die Oma zum allerersten Mal überhaupt in einem Traum erscheint, hört Fischer am folgenden Morgen, dass sie gestorben sei.

 

abgedruckt mit freundlicher Genehmigung

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